Lokale Geschichten für globale Märkte – wie ein Boutique Hotel zum kulturellen Treiber wird
Der Gegensatz konnte kaum größer sein. Was man zu Projektbeginn vorfand: ein Altenheim. Was daraus werden sollte: ein Grand Hotel – und das mit Anschluss an die weltweit größte Hotelunternehmung. Keine gute Ausgangslage für die Markenbildung eines 5-Sterne-Hotels. Oder doch?
Kultur statt Betten – das wahre Produkt von Hotels
Der Markt für Übernachtungen ist hart umkämpft – auch im Premiumbereich. Zudem verändern sich die Ansprüche der Nutzer: Ein gesellschaftlicher Wertewandel lässt anders auf tradierte Status- und Luxussymbole schauen. Wichtiger als Grand-Hotel-Gestus und Goldglanz ist heute, wie sich die eigene Identität der Gäste durch Orte und die ganz eigene Art des Reisens erzählen lässt.
Vor diesem Hintergrund dürfen sich Hotels nicht allein auf austauschbare Hardware als Treiber für Belegung, Zimmerraten und differenzierende Kommunikation verlassen. Genau wie andere Marken und Organisationen sind sie Akteure in einem gesellschaftlichen System, das auf Prinzipien der Narration basiert. Erfolgreiche Hotels bedienen sich heute gezielter Kulturtechniken, um sich als Akteure innerhalb von lokalen und globalen Gemeinschaften aufzustellen.
Was es dafür braucht: Ein strategisches Narrativ, das nicht nur künftige Entscheidungen zu Touchpoints, Interior Design und Gästemanagement anleitet, sondern auch die eigene Historie zukunftsfähig mit relevanten gesellschaftlichen Kontexten verwebt. So lag der Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit mit einem neuen alten Boutiquehotel in Berlin im Eintauchen in seine wechselhafte Geschichte.
Höhen und Tiefen – so gehen gute Geschichten
Das Haus hat eine wilde Vergangenheit. Einst herrschaftliches Wohnhaus beherbergte es später ein Grand Hotel, ein Offizierskasino und eine Künstlerbar. Ein ganzes Buch hatte die Tochter des Hoteliers darüber verfasst. Darin erzählt sie von russischen Adligen und Berühmtheiten wie Vladimir Nabokov oder Zarah Leander – aber auch von Bombentreffern, Gestapo-Verhören und der Nachkriegszeit, in der man auf dem Dach Tomaten zog und im Hof eine Ziege hielt. Später wurde die Hausbar Treffpunkt und heimliche Bühne von Literaten, Schauspielern und Intellektuellen. Hier stritt sich Romy Schneider mit Alain Delon, auch Brigitte Bardot und Luciano Pavarotti waren zu Gast, ebenso wie Heinrich Böll und Günter Grass.
All das ist schlummernde Historie, die gehoben werden muss – denn so gehen gute Geschichten: Sie sind echt und ungestellt, mit allen Höhen und Tiefen.
Die Historie strategisch weiterschreiben
Für eine zukunftsfähige Markenstrategie reicht die bloße Nacherzählung des Gewesenen nicht. Was es braucht, ist das Aufdecken kultureller Merkmale, die die Historie mit dem Morgen verbinden – von Architektur und Design, der alten Namensgebung bis zur Relevanz für die direkte Nachbarschaft durch Events, Partnerschaften und die lokale Gastronomie.
Die Recherchen zeigen, dass ein bekannter Jugendstilarchitekt das Haus entworfen hat. Seine Muschel-, Farn- und Fledermaus-Motive werden Teil der neuen Formensprache. Im Programm des neuen Spa schwingen die großen Namen der alten Zeit mit – von Romy Schneider bis Greta Garbo. Auch die schon immer starke Verbindung mit dem Viertel findet zahlreiche Übersetzungen in die neue Zeit: Der Küchenchef erntet heute frische Kräuter im eigenen Garten und braut ein lokales Craft Beer. Seine Küche ist offen, sodass Vertrautheit mit den Gästen entsteht, die ihm beim Kochen zusehen können. Selbst die Speisekarte spielt mit der Vergangenheit des Hauses: Wo sonst bekommt man ein Quittensorbet, aufgegossen mit deutschem Winzersekt und aromatisiert mit Hochprozentigem aus der Preußischen Spirituosenmanufaktur?
Am Ende erzählen andere davon
Als „Berlins privatestes Luxushotel“ eröffnet das Haus neu, wird wieder private Bühne für internationale Reisende und den lokalen Kiez: Geheime Partys für ausgewählte Gäste sorgen schon vor der Eröffnungsfeier für Gesprächsstoff. Der Startschuss wird mit Aktionen künstlerisch inszeniert. „Fünf Sterne glänzen wieder“, titelt der Tagesspiegel. Bild, Welt, Stern, Vogue, New York Times, HuffPost, Harper’s Bazaar und andere internationale Medien erkennen den kulturellen Wertbeitrag des Hauses für den Kiez und internationale Reisende.
So funktioniert der strategische Einsatz von Kulturtechniken: Durch die Übersetzung der Historie in relevante Kontexte wie Design, Gastronomie und die nahe Kiez-Kultur werden lokale und globale Anspruchsgruppen eingebunden. Cultural Engineering schreibt strategisch fort, was bereits vor über einem Jahrhundert begonnen wurde. So wird es Mittel der Wahl für Konversionen und Neubauten der größten Hotelketten sowie unabhängiger Hoteliers.